Marktberichte

Allianz Global Investors "Die Woche voraus" vom 16.09.2022

Inflation: Regional unterschiedliche Trends

In den westlichen Ländern straffen die Zentralbanken ihre Geldpolitik intensiv, um der historischen Inflationsbeschleunigung etwas entgegenzusetzen. In einem bisher einmaligen Schritt um 75 Basispunkte („Bp.“) hat die Europäische Zentralbank (EZB) in der vergangenen Woche am 8. September ihren Einlagenzinssatz auf 0,75% erhöht. Außerdem werden in der kommenden Woche die Bank of England (BoE) und die US-Notenbank Federal Reserve (Fed) ihren Zinsanhebungskurs fortsetzen, um den Preisdruck unter Kontrolle zu halten. Diese wichtigen Zentralbanken sind also gut beschäftigt. Gleichzeitig hält sich in Asien die Bank of Japan (BoJ) zurück, und die People‘s Bank of China (PBoC) senkt die Zinsen sogar. Warum? Unseres Erachtens gibt es zwei Ursachen für die unterschiedlichen Inflationstrends in den westlichen Ländern bzw. in Asien: (1) den Umfang der ursprünglichen Angebots- und Nachfrageschocks und (2) die Stärke der Erholung der Binnennachfrage nach der Pandemie.

In den USA kam es durch überdimensionierte fiskalische Impulse und geldpolitische Reaktionen zu einer Überstimulierung der Konjunktur. In den Jahren 2020 und 2021 verabschiedeten die Regierungen der Präsidenten Trump und Biden Konjunkturpakete mit einem Gesamtumfang von 25% des im Jahr 2020 erwirtschafteten Bruttoinlandsprodukts (BIP)! Darüber hinaus senkte die Fed als Reaktion auf die Covid-19-Pandemie ihren Leitzins, die Fed Funds Target Rate, auf Null und nahm umfangreiche quantitative Lockerungen vor. Diese überdimensionierten Konjunkturpakete haben die Nachfrage der privaten Haushalte und die Lage am Arbeitsmarkt beträchtlich verzerrt, was wiederum spürbar zur Inflationsbeschleunigung beigetragen hat.

Im Euroraum ist es wegen der hohen Abhängigkeit von fossilen Brennstoffimporten aus Russland zu einem schweren Schock bei der Energieversorgung und einem kräftigen Energiepreisanstieg gekommen. Die Belebung der Binnennachfrage nach der Pandemie heizt die Inflation zusätzlich an, was die EZB zum Eingreifen und zur Straffung der monetären Bedingungen zwingt.

In Asien dagegen wurden der Wirtschaft – im Gegensatz zu den USA – in der Covid-19-Pandemie keine übermäßigen Impulse gegeben, und die Region wird nicht so stark wie Europa von einem Schock bei der Energieversorgung in Mitleidenschaft gezogen. Nichtsdestotrotz steigen auch dort die Verbraucherpreise an, und viele Zentralbanken in der Region haben einen Straffungszyklus eingeleitet – mit Ausnahme der BoJ und der PBoC. In Japan lahmte die Binnennachfrage bereits lange vor dem Ausbruch der Covid-19-Pandemie im Jahr 2020. Die rasche Alterung der Gesellschaft und mangelnde Investitionen haben das Wachstum der Wirtschaft und der Arbeitsproduktivität gedämpft. Wegen der rasch steigenden Treibstoffpreise liegt die Verbraucherpreisinflation in Japan zwar über dem Zielwert von 2%, aber BoJ-Gouverneur Haruhiko Kuroda geht davon aus, dass der Preisdruck nicht von Dauer ist. Die BoJ kann keine Anzeichen für dauerhaften Lohn-Preis-Druck in Japan erkennen, der sie dazu veranlassen könnte, die Renditekurvenkontrolle aufzugeben.

In China halten die Behörden angesichts der Erfolge der NullCovid-Politik im Jahr 2020 an diesem Kurs fest, obwohl sich inzwischen sehr viel virulentere Covid-19 Virusvarianten entwickelt haben. Dadurch kommt es in China immer wieder zu administrativen Lockdowns, was eine Rückkehr zur normalen Wirtschaftstätigkeit verhindert. Die Regierung stimuliert die Wirtschaft zwar durch fiskal- und geldpolitische Lockerungen, aber die von der Null-Covid-Politik und dem lahmenden Immobilienmarkt ausgehenden Belastungen für die Nachfrage aus dem privaten Sektor überwiegen.

Hieran zeigt sich, dass die Sekundäreffekte bei der Inflation entscheidend von der Binnennachfrage abhängen. Und daraus ergibt sich wiederum, wie die Zentralbanken rund um die Welt reagieren.

Die Woche voraus

In der kommenden Woche werden die Zinsentscheidungen der Fed und der BoE im Mittelpunkt stehen.
Zum Wochenanfang werden in den USA der NAHB-Index für den Wohnungsmarkt (Montag) für September sowie die Zahl der Baugenehmigungen und der Baubeginne im August (Dienstag) veröffentlicht. Am Markt wird mit einer leichten Verlangsamung der Aktivität am US-Wohnungsmarkt im September gerechnet (Rückgang des Index von 49 im August auf 48). Die Zahl der Baugenehmigungen sollte im August weiter gesunken sein (-3,8% gegenüber dem Vormonat), die der Baubeginne sich stabilisiert haben (+1% gegenüber dem Vormonat). Mittwoch ist der Tag der Fed-Zinsentscheidung. Die Marktteilnehmer rechnen derzeit mit einer weiteren Zinsanhebung um 75 Bp., was den oberen Rand des Korridors für die Fed Funds Target Rate auf 3,25% erhöhen sollte. Außerdem stehen in den USA die Verkäufe von Altbauten im August an; am Markt wird ein Rückgang um 1,3% gegenüber dem Vormonat auf 4,75 Millionen erwartet.

Am Donnerstag folgt die Leitzinsentscheidung der BoE. Eine erneute Anhebung der Bank Rate um 50 Bp. auf 2,25% wird erwartet. Außerdem stehen verschiedene US-Arbeitsmarktdaten an, z.B. die Zahl der Erst- und Folgeanträge auf Arbeitslosenunterstützung. Daraus lässt sich die Arbeitsmarktsituation ableiten. Am Freitag stehen die Einkaufsmanagerindizes für das verarbeitende Gewerbe und den Dienstleistungssektor in den USA, der EU, Deutschland, Frankreich und Großbritannien im Kalender. Daran lässt sich ablesen, wie die Lage in den westlichen Volkswirtschaften ist und wie entschlossen die Zentralbanken gegebenenfalls gegen die Inflation vorgehen wollen.

Technische Daten

Derzeit befinden wir uns in einer saisonalen Schwächephase im Jahresverlauf, in der weitere Kursgewinne unwahrscheinlich sind. Die zuletzt schwachen Umfragen zeigen, dass die Anleger derzeit Aktien untergewichten. Bisher schlägt sich dies nicht in den Kapitalströmen nieder; dort sind nach wie vor keine nennenswerten Abflüsse zu erkennen.

In diesem Kontext stellt sich die Frage, ob die institutionellen Anleger bei einer anhaltenden Eintrübung des Umfelds ihre Aktienpositionen weiter abbauen. Dann werden die Juni-Tiefstände wohl erneut auf die Probe gestellt.

Ich wünsche Ihnen, dass Ihre Investitionen inflationssicher sind.

Christiaan Tuntono
Senior Economist, Asia Pacific


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