Marktberichte

Amundi Marktkommentar vom 31.01.2022

„Die Voraussetzungen für die Transformation sind sehr gut“

Die Herausforderungen in Geldpolitik, Inflation und nachhaltiger Transformation beleuchtete Prof. Marcel Fratzscher, Leiter des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung, auf der Amundi Outlook Investment Konferenz zum Jahresauftakt. Warum der renommierte Ökonom optimistisch für Deutschland ist und auch bei hohen Verbraucherpreisen und signifikanter Staatsverschuldung entspannt bleibt, lesen Sie im ausführlichen Interview.

Herr Prof. Fratzscher, wie bewerten Sie die aktuelle Situation mit Blick auf die deutsche Wirtschaft?
Ich denke, es gab selten eine Zeit, in der eine solche Vielzahl an Herausforderungen gleichzeitig bewältigt werden musste. Mitten in der Pandemie stemmen wir uns gegen den Klimawandel, gestalten die Transformation unserer Wirtschaft und sehen uns konfrontiert mit demographischem Wandel. Doch kann ich in dieser fordernden Krisenzeit auch viel Positives erkennen: Bei allem was in der Pandemiebekämpfung nicht optimal gelaufen sein mag, hat Deutschland in den letzten beiden Jahren Herausragendes geleistet – gerade im direkten Vergleich mit anderen Ländern. Etwa hinsichtlich der Güte der staatlichen Institutionen und Hilfsmaßnahmen, als auch der Resilienz der deutschen Wirtschaft.

Wie würden Sie die derzeitigen globalen Herausforderungen in ihrer Wichtigkeit sortieren?
Das A und O wird 2022 die Überwindung der Pandemie sein. Denn hier sind die ökonomischen Auswirkungen besonders hoch und wir müssen uns auch eingestehen, dass wir in der Vergangenheit zu optimistisch waren, was die Dauer der Krise angeht. Auch die Lieferkettenthematik hat vergleichsweise große Auswirkungen auf unsere global vernetzte Ökonomie, ich halte das Problem aber nicht für sehr dauerhaft. Der Ukraine-Konflikt könnte bei einer Eskalation bestimmte Bereiche der Wirtschaft treffen. Handelskonflikte sowie Finanz- und Schuldenkrise und die anstehende Zinswende werden sich hingegen eher moderat auf die Wirtschaft auswirken.

Wo sehen Sie die langfristigen Herausforderungen für die heimische Wirtschaft?
Wenn wir wettbewerbsfähig bleiben wollen, müssen Investitionen wieder oberste Priorität haben: In die ökologische Transformation, aber beispielsweise auch in die Digitalisierung und die Energienetze, ja generell in Infrastruktur. Es ist breiter Konsens, dass Deutschland in den nächsten zehn Jahren rund 500 Mrd. Euro zusätzlicher Investitionen aufbringen muss – das sind 50 Mrd. Euro jährlich, also rund 1,3% der Wirtschaftsleistung. Das ist machbar, aber dennoch eine massive Belastung für die Öffentliche Hand – vor allem, wenn man über die Schuldenbremse spricht. Für mich ist das eine absolute Schlüsselfrage: Wo setzt die die neue Regierung die Prioritäten bei den öffentlichen Investitionen, hat sie den Mut zu gestalten. Wir brauchen insgesamt Reformwillen, etwa für bessere Rahmenbedingungen der Unternehmen, die Beseitigung des Fachkräftemangels sowie den Bürokratieabbau. Als Hochsteuerland müssen wir zudem dringend eine Steuerreform angehen, damit unsere heimischen Unternehmen wettbewerbsfähig bleiben und sich langfristig an den Standort binden wollen.

Steht diesen zahlreichen Investitionsvorhaben nicht doch die hohe Staatsverschuldung entgegen?
Für Italien oder Frankreich ist das schon eher ein Problem. Aber für Deutschland macht mir die Schuldenrate keine allzu großen Sorgen. Das Zinsumfeld ist ja auch komplett anders als beispielsweise in den 1970ern. Unsere Zinslast lag in 2021 bei lediglich etwa 7 Mrd. Euro. Im Übrigen bin ich zwar grundsätzlich für die Einhaltung der Maastrichtkriterien, also für ein Verschuldungslimit von 60% des BIP. Wenn wir aber nun mal aktuell in Deutschland und Europa darüber liegen, dann heißt der Schlüssel schlicht Wachstum.

Wie schätzen Sie das Risiko einer längerfristig hohen Inflation ein?
Ich gehöre zu denen, die in der aktuell hohen Inflation ein eher temporäres Phänomen sehen. Ernst würde es erst, wenn wir eine Überhitzung bei der Nachfrage oder den Unternehmensinvestitionen oder auch expansive Löhne sehen würden. Das halte ich aber für eher unwahrscheinlich. Zudem würde unsere Notenbank da entsprechend gegensteuern. Ich bin der Überzeugung, die EZB hat die Kompetenz, den Willen und die Instrumente, die Preisentwicklung im Rahmen zu halten.

Die Ampel-Koalition will Investitionen in den Klimaschutz stark erhöhen. Wie wichtig sind diese öffentlichen Investitionen im Vergleich zu den privaten?
Auf das Zusammenspiel beider kommt es an. Zwar spricht die Verteilung – 90% private und nur 10% öffentliche Investitionen – eine vermeintlich eindeutige Sprache bei der Wichtigkeit. Doch vieles hängt am Staat, denken Sie nur an die schlechte digitale Infrastruktur. Die Öffentliche Hand muss also auch beim Klimaschutz für gute Rahmenbedingungen sorgen, sonst wandern viele Unternehmen ins Ausland ab.

Das klingt ein wenig skeptisch.
Der Eindruck täuscht, ich bin sehr optimistisch, was unser Potenzial angeht. Ja, wir haben unsichere Zeiten, aber auch beste Voraussetzungen, den notwendigen Wandel gut zu bewerkstelligen.


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