Europa liegt im Trend. Viele Investoren ziehen derzeit Kapital aus den USA ab und investieren stattdessen lieber in Aktien aus Euro Stoxx, Dax & Co. Warum sich das Umdenken in der Anlagestrategie lohnen könnte.
Von André Kostolany stammt der Spruch: „Im Herzen bin ich Europäer, aber mein Geld liegt in Amerika.“ Sehr viele Anleger sind in den vergangenen Jahren dem Rat des bekannten ungarischen Spekulanten und Börsenphilosophen gefolgt. Manche ganz bewusst, andere eher unbewusst.
Warum auch nicht? In der Tat waren Anleger lange Zeit gut beraten, einen Teil ihres Vermögens in Aktien von Unternehmen zu investieren, die jenseits des Atlantiks ihren Sitz haben. Neun Jahre lang in Folge konnten US-amerikanische Titel die Wertentwicklung ihrer europäischen Wettbewerber übertreffen – und das teilweise deutlich. Das letzte Mal, dass der Euro Stoxx 50 besser abschnitt als der S&P 500, war 2015 – und das auch nur knapp.
Kostolany, der für seine pointierten und humorvollen Aussagen berühmt war, wollte mit diesem Spruch sein Vertrauen in die wirtschaftliche Stärke und Stabilität der USA zum Ausdruck bringen – ebenso wie seine kulturelle und emotionale Verbundenheit mit Europa.
Europa holt auf
Spätestens, seit US-Präsident Donald Trump mit seine Zollkapriolen die Märkte ein ums andere Mal auf unberechenbare Berg- und Talfahrten schickt, scheint es mit den alten Gewissheiten aber vorbei zu sein. Amerika als Hort der Stabilität – das wird zunehmend hinterfragt. Infolgedessen gehen immer mehr Investoren dazu über, ihr Vermögen aus US-Märkten abzuziehen und es stattdessen in Europa anzulegen.
“Die reichlich sprunghafte US-Politik dürfte deutliche Spuren in der Wirtschaft und an den Kapitalmärkten hinterlassen.”Vincenzo Vedda
DWS Chefanlagestratege
So verlief die Entwicklung des amerikanischen Aktienmarktes zuletzt enttäuschend. Der S&P 500, der die größten US-amerikanischen Aktien abbildet, kletterte von Jahresbeginn bis Anfang Juni um gerade mal 0,5 Prozent. Der technologielastigere Nasdaq 100 konnte im selben Zeitraum um gut ein Prozent zulegen. Ganz anders dagegen die Entwicklung in Europa: Der Euro Stoxx 50 – Index der größten europäischen Aktien aus dem Euroraum – kletterte um zehn Prozent nach oben. Und ausgerechnet der deutsche Dax schaffte es mit einem Zuwachs von 20 Prozent sogar an die Spitze der großen Indizes.
Der schwache Dollar belastet zusätzlich
Für Anleger aus Deutschland, die ihr Geld in Euro anlegen, fällt die Bilanz zugunsten europäischer Titel noch deutlicher aus. Sie müssen ja neben der Kursentwicklung auch noch die Währungseinflüsse berücksichtigen. Der Dollar verlor jedoch seit Jahresbeginn gegenüber der europäischen Einheitswährung mehr als zehn Prozent an Wert und drückte damit auch alle US-Wertpapiere, die in europäischen Depots lagerten, entsprechend nach unten. Das bedeutet: Selbst wenn US-Aktien leicht steigen, kann die Rendite in Euro gerechnet negativ ausfallen.
Besserung scheint zumindest kurzfristig nicht in Sicht zu sein. Viele internationale Anleger blicken wegen der unvorhersehbaren US-Politik zurzeit mit Misstrauen auf den US-Dollar. Und auch die Konjunkturaussichten sprechen eher für eine Fortsetzung des Trends. Die DWS rechnet damit, dass sich das Wirtschaftswachstum in den USA deutlich verlangsamt. Nach 2,8 Prozent im vergangenen Jahr könnte es sich in diesem Jahr auf 1,2 Prozent und auf 1,3 Prozent im kommenden Jahr schrumpfen. Für Deutschland prognostiziert die DWS eine entgegengesetzte Dynamik: Aus einem Rückgang der Wirtschaftsleistung um 0,2 Prozent im vergangenen Jahr könnte ein Wachstum von 1,6 Prozent im Jahr 2026 werden.
Die vergleichsweise niedrige Staatsverschuldung der europäischen Kernländer sowie der weiterhin robuste Handelsbilanzüberschuss Europas sprechen ebenfalls eher für eine weitere Stärkung des Euros. Während sich die Staatsverschuldung der USA mit knapp über 120 Prozent des Bruttoinlandsprodukts (BIP) auf einem historischen Höchststand befindet, liegt der Durchschnittswert der EU-Länder bei vergleichsweise niedrigen 82 Prozent. Deutschland sticht dabei deutlich heraus: Mit 64 Prozent ist die Schuldenquote hierzulande nur halb so hoch wie in den USA. Auch die restriktive Zollpolitik der USA scheint bis jetzt nicht die gewünschte Wirkung zu zeigen: Der Handelsüberschuss der EU ist in den ersten vier Monaten des laufenden Jahres weiter gestiegen1.
Weltweit anlegende Fonds haben oft viele US-Aktien im Portfolio
Der Währungseffekt und die generelle Formschwäche der US-Aktien trifft teilweise auch Anleger, die statt in einzelne Aktien lieber in Fonds oder ETFs investieren. Auch sie haben nämlich häufig einen erheblichen Anteil ihres Vermögens in den USA investiert – und das oft, ohne es zu wissen. Die überaus starke Wertentwicklung von Technologieaktien wie Nvidia, Apple oder Microsoft der vergangenen Jahre hat dazu geführt, dass insbesondere viele passive Fonds, die sich streng an der Entwicklung von Aktienindizes orientieren, heute ein starkes Übergewicht an US-Titeln ausweisen. So besteht beispielsweise der weltweit anlegende Index MSCI World, der die Wertentwicklung von rund 1500 der größten Aktien aus weltweiten Industrieländern abbildet, mittlerweile zu über 70 Prozent aus amerikanischen Aktien.2 Europäische Aktien sind dagegen mit gerade mal 15-17 Prozent vertreten. Wer also Anteile eines ETF auf den MSCI World sein Eigen nennt, der ist eigentlich überwiegend in den USA investiert. Entsprechend hart trifft ihn die derzeitige Schwäche der US-Titel.
Aktiv gemanagte Fonds können rechtzeitig umschichten
Große Investoren ebenso wie auch viele Fondsmanager haben dagegen längst auf die Zeichen der Zeit reagiert und Vermögen umgeschichtet. So wurden beispielsweise in mehreren DWS-Fonds frühzeitig Titel mit einem höheren Umsatzanteil in den USA oder einer stärkeren Abhängigkeit vom US-Dollar deutlich reduziert und Unternehmen mit einer stärkeren europäischen Ausrichtung stärker berücksichtigt. Dank aktiver Titelauswahl können Fondsmanager zudem gezielt Titel in ihre Portfolios aufnehmen, die von staatlichen Investitionen in bestimmte Industriebereiche profitieren könnten.
Drei gute Gründe für Europa
Vincenzo Vedda, Chefanlagestratege der DWS, nennt drei Argumente, die derzeit für Europa sprechen3.
Erstens sei es wichtig, das Anlagevermögen ausreichend breit über die unterschiedlichen Märkte zu verteilen, um sogenannte Klumpenrisiken zu vermeiden. Daher sei es schon aus Gründen der Diversifikation ratsam, das starke Übergewicht amerikanischer Aktien in vielen Depots abzubauen.
Zweitens seien europäische Aktien trotz der jüngsten Kursanstiege im Vergleich zu US-Aktien immer noch günstiger.Zum Beispiel zeigt ein Blick auf das sogenannte Kurs-Gewinn-Verhältnis (KGV), wie teuer Aktien im Verhältnis zu den erwarteten Gewinnen sind: Auf Basis der für 2026 geschätzten Unternehmensgewinne lag das durchschnittliche KGV für den US-Index S&P 500 im Juni bei 22, während es beim europäischen EuroStoxx 50 nur bei 15 lag.4
Drittens spreche der höhere Anteil zyklischer Unternehmen derzeit für den alten Kontinent. Unternehmen aus Branchen wie etwa Industrie, Konsumgüter, Bau oder Grundstoffe, deren Geschäft stark von der Konjunktur abhängt, können erfahrungsgemäß besonders stark in frühen Phasen eines Aufschwungs profitieren, wie er sich derzeit abzuzeichnen scheint.
„Europa bietet Anlegern derzeit bessere Chancen als die USA: Deutschland schlägt in der Finanzpolitik einen neuen, zukunftsweisenden Kurs ein. Die steigenden Verteidigungsausgaben setzen wirtschaftliche Impulse frei, und inmitten globaler Unsicherheiten sorgen rechtliche Stabilität und rechtsstaatlich geprägte Märkte dafür, dass Europa von vielen Investoren als verlässlicher Investitionsstandort wahrgenommen wird“, ergänzt Philipp Schweneke, Co-Leiter europäische Aktien bei der DWS.
Risiken nicht unterschätzen
Neben all den Chancen gibt es natürlich diverse Risiken. Beispielsweise könnte eine weltweite Wachstumsschwäche auch die Aktienmärkte Europas in Mitleidenschaft ziehen. Ebenfalls nur schwer vorhersehbar wären die Auswirkungen, wenn der Zollkonflikt zwischen den USA und Europa eskalieren sollte.
Fazit
Die Zeichen stehen auf Europa: Attraktive Bewertungen, eine sich erholende Konjunktur und stabile, rechtsstaatlich gesicherte Rahmenbedingungen machen europäische Aktien derzeit besonders interessant für Anleger. Ein gezielter Ausbau des Europa-Anteils kann zudem dabei helfen, Klumpenrisiken zu reduzieren, die sich in vielen Depots durch die starke Dominanz von US-Titeln aufgebaut haben. Ob über aktiv gemanagte Fonds oder gezielte ETF-Investments – ein wenig mehr Europa zu wagen, könnte sich langfristig auszahlen.