Sehr geehrte Leserinnen und Leser,
Als passionierter Hobbykoch und Vater eines Zweieinhalbjährigen erlebe ich gelegentlich eine Situation, die vermutlich jeder kennt: Man kommt voller Stolz aus der Küche, serviert das Lieblingsgericht, das immer Begeisterung ausgelöst hat – und plötzlich blickt man nach dem ersten Bissen in ein fragendes, leicht verzerrtes Gesicht. „Mag nicht!“, sagt er und legt die halb zerkauten Nudeln beiseite. Dann besiegelt der Satz „gibt es auch etwas anderes?“ alle Hoffnungen, man könne noch für das Gericht werben. Etwas ratlos sucht man nach neuen Ideen und erkennt: Der Geschmack hat sich verändert, die gewohnten Zutaten funktionieren nicht mehr. Genau so fühlen sich Kapitalmarktteilnehmer aktuell: Die bewährten Rezepte der Geldanlage wirken plötzlich fade, vertraute Strategien greifen nicht mehr. Mitte 2025 stehen wir eindeutig an einer Zeitenwende – höchste Zeit, tief in die Küche der Märkte zu blicken und neue Rezepte auszuprobieren. Das hat auch, aber nicht nur, mit einem für die liberale Demokratie gefährlichen US-Präsidenten zu tun.
Bahnt sich ein Vertrauensverlust in die US-Kapitalmärkte an?
Der Umgang der Trump-Administration mit den Protesten in L. A. erinnert mehr an chinesische Verhältnisse als an eine liberale Ur-Demokratie. Ein Grund, warum chinesische Aktien zu den am günstigsten bewerteten zählen, ist, dass das autoritäre Regime um Xi das Vertrauen der Kapitalmarktteilnehmer in den letzten 15 Jahren verspielt hat. Trump legt ein schnelleres Tempo an den Tag und geht mit seinem Vertrauen regelmäßig „all-in“, wie man im Poker sagt. Es offenbarte sich deshalb zuletzt eine tiefer liegende Problematik: die strukturelle Verwundbarkeit des US-Anleihemarktes. Allein im April 2025 sahen wir, wie schnell Liquidität zusammenbrechen kann: Innerhalb weniger Tage verzeichnete der US-Bondmarkt, insbesondere in den weniger liquiden Off-the-Run Treasuries, eine Halbierung der üblichen Ordertiefe. Transaktionskosten – gemessen an Bid-Ask-Spreads – schnellten teilweise auf das Doppelte, stellenweise gar das Dreifache normaler Werte. Die Marktreaktion war vermutlich der Hauptgrund für Trump, die Zollpause von 90 Tagen einzulegen. Institutionelle Investoren sehen sich seitdem gezwungen, ihre Strategien völlig neu auszurichten. So hat sich die durchschnittliche Duration institutioneller US-Rentenfonds binnen sechs Monaten um 20 % reduziert – ein Indiz dafür, dass Profis dem Markt nicht länger zutrauen, größere Positionen kurzfristig ohne größere Abschläge zu liquidieren. Die andauernde Unsicherheit schürt Zweifel an der langfristigen Tragfähigkeit der US-Staatsverschuldung. Ein alarmierendes Signal lieferte Moody’s im Mai 2025, als die Ratingagentur den USA angesichts der explodierenden $36-Billionen-Schuldenlast erstmals das Top-Rating entzog (Herabstufung von Aaa auf Aa1). Damit besitzt Amerika nun bei keiner großen Agentur mehr die Bestnote, was das Vertrauen in seine Kreditwürdigkeit spürbar erschüttert.
Zugleich gerät der US-Dollar als Reservewährung unter Druck: Obwohl die US-Zinsen deutlich über den europäischen liegen, fiel der Dollar auf ein Mehrjahrestief gegenüber dem Euro. Wie bereits in der letzten Ausgabe des HAC-Pfadfinderbriefes analysiert, sollte man deshalb den US-Dollar noch lange nicht totsagen, aber man muss die Risse im System wahrnehmen. Devisenstrategen der Deutschen Bank sprachen mir gegenüber hingegen bereits von einer möglichen „Vertrauenskrise“ des Dollar. Trumps unberechenbare Politik untergrabe zunehmend den Status der US-Währung als sicherer Hafen, und es bestehe die Gefahr selbstverstärkender Kapitalabflüsse aus US-Vermögenswerten. Trotz aller Warnsignale erwarten viele Beobachter jedoch keinen totalen Exodus europäischer Anleger aus den USA – dafür sind Amerikas Märkte zu dominant und die Gewinnperspektiven vieler US-Anlagen weiterhin attraktiv. Ein substanzieller Vertrauensverlust zeichnet sich also durchaus ab, doch von einer völligen Abkehr ist (noch) nicht auszugehen. Kehren wir also zurück in mein anfängliches Bild, sollten Anleger US-Werte wohl nciht völlig aus der Rezeptur verbannen, doch sie gehören fein abgeschmeckt.
Die FED zwischen Markt und Politik
Mehr Schärfe könnte die US-Notenbank hingegen ins Gericht bringen. Die Federal Reserve steht aktuell zwischen den Stühlen. Trotz politischer Angriffe aus dem Weißen Haus, wonach Präsident Trump vehement Zinssenkungen fordert, hält FED-Chef Jerome Powell (bzw. sein Komitee) vorerst am aktuellen Zinsniveau fest. Es erscheint dennoch wahrscheinlich, dass die FED gegen Ende 2025 zumindest moderate Zinssenkungen durchführen wird – konkret rechnen die Märkte bis Jahresende mit mindestens einer bis zwei Reduktionen des Leitzinses auf etwa 3,90 %. Doch die Anleihemärkte haben sich davon in jüngster Vergangenheit entkoppelt, wie ein Blick zurück offenbart: Die US-Notenbank hat von September bis Dezember 2024 dreimal in Folge die Leitzinsen gesenkt – insgesamt um ganze 100 Basispunkte. Doch entgegen den üblichen Erwartungen, wonach niedrigere Leitzinsen langfristige Renditen dämpfen, reagierte der Bondmarkt überraschend anders: Die Renditen für zwei- und zehnjährige US-Treasuries stiegen entgegen der FED-Politik im gleichen Zeitraum deutlich an. Konkret legten die langfristigen Renditen sogar zu und verharrten auch im Jahr 2025 auf erhöhten Niveaus (10-jährige bei aktuell 4,38 %, 2-jährige bei 3,94 %), während der effektive Leitzins bei 4,33 % liegt.
Der Markt geht also nicht mit der FED mit und verkauft Anleihen eher: Die Zinssenkungen der FED könnten angesichts weiter bestehender Inflationsrisiken, hoher Staatsverschuldung und geopolitischer Unsicherheiten voreilig gewesen sein. Anstatt die Zinsen einfach weiter zu senken, könnte die FED im Verlauf des Jahres 2025 zunehmend dem Bondmarkt folgen müssen, indem sie Zinsschritte vorsichtiger angeht oder pausiert, um das Vertrauen in ihre langfristige Inflationskontrolle und geldpolitische Glaubwürdigkeit nicht zu gefährden. Für europäische Investoren ist diese Dynamik besonders relevant: Sie unterstreicht, dass die FED möglicherweise nicht mehr allein den Ton bei der Zinsentwicklung angibt.
Flexibilität und Differenzierung - der neue (alte) Imperativ für Investoren
Die Schlussfolgerung aus diesen tiefgreifenden Veränderungen? Mehr denn je sind Kapitalanleger gezwungen, flexibel und offen für neue Ansätze zu bleiben. Europas politischer Ansatz des „strategischen De-Riskings“, einer Mischung aus selektiver Marktöffnung und gezielter Abgrenzung gegenüber China und den USA, könnte zum geopolitischen Trumpf werden. Dies zeigen bereits die veränderten Kapitalflüsse: Europäische Investoren kehren US-Anlagen zunehmend den Rücken. Im Februar 2025 etwa flossen netto rund 400 Mio. € aus US-Aktien-ETFs ab, während gleichzeitig 9,6 Mrd. € in europäische Aktien-ETFs umgeschichtet wurden. Verstärkt wird der Trend durch die Outperformance Europas und Währungseffekte.
In unseren HAC-Strategien, d. h. den HAC Quant Fonds und den Vermögensverwaltungen finden die hier getroffenen Überlegungen bezüglich der richtigen Rezeptur aktiv statt. Wir reduzieren unsere Duration, unsere US-Dollar-Quoten und begreifen Volatilität zunehmend als Anlageklasse. Demgegenüber wächst aufgrund unserer systematischen Kriterien das Exposure in Europa und Japan leicht an. Doch den größten Effekt hat unsere Asset Allocation, also die dynamische Offenheit für Gold, Rohstoffe, Anleihen, v. a. Nicht-Staatsanleihen und globale Aktien. Fester Teil der HAC-Philosophie ist, dass Märkte noch nie vorhersehbar waren und es nie sein werden, deshalb sind wir auf alles vorbereitet. Es ist nicht die Zeit für große Wetten.
Herzliche Grüße
Ihr Tobias Gabriel
Vorstand der HAC VermögensManagement AG