Marktberichte

Loys Capital Kolumne vom 27.06.2023

MiFID-Eigentor soll annulliert werden

Der Finanzsektor gehört traditionell zu den am dichtesten regulierten Branchen der Wirtschaft. Angesichts seiner bedeutenden und sensiblen Rolle gibt es gute Gründe für ein enges Netz aus Rahmenbedingungen und Leitplanken. Gerade bei Banken, die seit der amerikanischen Subprime-Krise im Jahre 2007 als systemrelevant eingestuft werden, ist ein kluges Regelwerk wünschenswert und nachvollziehbar. Vor allem für Institute mit großem Kreditgeschäft dürfte dieses Argument gelten.

Eine andere Frage ist freilich, ob man bei nicht systemrelevanten Marktteilnehmern in dem sehr vielfältigen und mitunter atomistischen Finanzmarkt ein eng gesponnenes Netz staatlicher Vorschriften benötigt. In der Europäischen Union ist man seit vielen Jahren der Auffassung, dass dies notwendig ist. Damit ist die EU auf diesem Gebiet zum Weltmarktführer der Regulierung geworden. Begründet werden die vielen Vorschriften mit einem Schutzbedürfnis der Bürger. Aber so sehr solche Ziele lobenswert sind, so muss man die Klugheit der vielen Vorschriften an ihren Ergebnissen messen. Dabei sollte stets gefragt werden, ob die Wohlfahrt der Bürger durch die intensive Regulierung aufblüht. Diesbezüglich tut man gut daran, die Entwicklung von Bruttosozialprodukt, Vermögen und Wohlstand ins Auge zu fassen. Leider offenbaren diese sinnvollen ökonomischen Maßstäbe, dass die EU und nicht zuletzt Deutschland weiter ins Hintertreffen gerät. Insbesondere die Teilhabe der Bevölkerung am Produktivkapital via Aktienbesitz kommt nicht zuletzt aufgrund unkluger Rahmenbedingungen seit Jahrzehnten nicht substanziell voran.

Daher ist man erfreut zu lesen, dass die EU nunmehr von ihrer 2018 in Kraft getretenen MiFID-Vorschrift Abstand nehmen will, der zufolge Wertpapierresearch und -handel getrennt berechnet und bezahlt werden müssen. Eine Folge dieser Regulierung war, dass Researcharbeit den Kunden in Rechnung gestellt und nicht durch Handelsumsätze bezahlt wurde. Es kam daraufhin seitens der Banken und Broker zur Einstellung der Analysetätigkeiten für viele kleine und mittelgroße Aktiengesellschaften. Die deutliche Underperformance solcher Aktiengesellschaften an der Börse ist mitunter durch diese MiFID-Regulierung zu erklären. Die ohnehin im Vergleich zu den USA mickrigen europäischen Aktienmärkte wurden weiter geschwächt.

Ähnlich wie auf den Gebieten Energie- und Einwanderungspolitik sind beim Thema Finanzmarktregulierung Amerikaner und Asiaten dem europäischen Beispiel nicht gefolgt. Vielleicht nimmt man die beschriebene Entwicklung in Brüssel und Berlin zum Anlass, einmal grundsätzlich über das Thema Vorreiterschaft in Sachen Regulierung nachzudenken. Der Wohlstandsentwicklung würde es gewiss guttun. Der seit längerem anhaltende wirtschaftliche Abstieg gegenüber den USA und Asien könnte dann möglicherweise abgebremst werden.

Aus Chicago

Ihr
Dr. Christoph Bruns


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