Marktberichte

SAM-Journal Q4 2022

Chips - Nach wie vor unverzichtbar

Jeder braucht sie. Auch wenn sie klein sind und wir sie im alltäglichen Leben selten wahrnehmen, sind sie nicht mehr wegzudenken. Ohne sie geht gar nichts. Die Rede ist von Halbleitern. Kaum einer Branche wurden und werden in den nächsten Jahren so hohe Wachstumschancen zugerechnet wie dieser. Neben dem allumfassenden Megatrend Digitalisierung verschafft der Umbau von Gesellschaft und Wirtschaft auf eine nachhaltigere Lebensweise der Halbeleiterbranche enorme Perspektiven. Das Thema ist mittlerweile so brisant, dass längst die Politik mitmischt und sich diese Industrie mit geopolitischen Herausforderungen konfrontiert sieht. Doch fangen wir von vorne an: Was ist ein Halbleiter und wo werden sie eingesetzt? Wie sieht die Wertschöpfungskette aus und wie ist die Stimmung in dieser heiß diskutierten Branche?

Den Begriff Halbleiter kennen einige vielleicht noch aus dem Physikunterricht. Simpel ausgedrückt ist ein Halbleiter ein Festkörper (bezogen auf den Aggregatszustand), dessen elektrische Leitfähigkeit zwischen der eines elektrischen Leiters (z.B. Kupferkabel) und eines elektrischen Nichtleiters (z.B. Diamant) liegt. Je nach Temperatur verändert sich deren Leitfähigkeit. In dieses Halbleitermaterial, häufig Silicium, werden komplexe elektrische Schaltkreise eingeschrieben, sodass daraus Technologiekomponenten wie Mikrochips oder Prozessoren entstehen.

Wertschöpfungskette

Die Komplexität der Chipherstellung, der erforderliche Kapitaleinsatz und das hohe Innovationstempo haben für eine Unterteilung der Wertschöpfungskette gesorgt. Unternehmen haben sich zunehmend auf kleinere Elemente im Produktionsprozess fokussiert. Ergebnis ist eine globale Lieferkette, bei der die Herstellung eines Computerchips oftmals mehr als 1.000 Schritte erfordert und dieser dabei 70-mal oder mehr internationale Grenzen überschreitet, bevor er seinen Bestimmungsort findet. Der Gradmesser in dieser Industrie ist das seit mehr als fünfzig Jahren gültige Mooresche Gesetz1, nachdem sich die Komplexität der integrierten Schaltkreise auf einem Chip etwa alle 18-24 Monate verdoppelt.
Alles beginnt mit dem halbleitenden Ausgangsmaterial, häufig Silicium in sehr reiner Form. Dieses wird so bearbeitet, dass ein zylindrischer Barren mit einem Durchmesser von 2-3 cm und 2 m Höhe entsteht.2 Dieser Block (Ingot) wird anschließend in 1 mm dicke Scheiben geschnitten. Diese sogenannten Wafer werden anschließend geätzt sowie poliert und dienen als Ausgangsmaterial für die Chipfertigung. Schon dieser erste Fertigungsprozess ist hochkomplex und es gibt nur wenige Firmen, welche die Kristallzucht und Wafer-Fertigung beherrschen. Dominierend in der Wafer-Herstellung ist Japan mit einem Marktanteil von mehr als 50%.3Der Anteil dieses Wertschöpfungsabschnittes an der Gesamtindustrie4, die sich nach Schätzungen des CEST (Center of Security and Emerging Technology) auf ca. 500 Mrd. USD beläuft, wird mit 2,5% für das Jahr 2019 (12,5 Mrd. USD) beziffert.

Nachdem der Wafer fertiggestellt ist, beginnt die Fertigung der eigentlichen Chips. An dieser Stelle nimmt die Fragmentierung des Prozesses noch einmal deutlich zu. Die Produktion kann in die Schritte Design, Fertigung und Assembly, testing & packaging (ATP) unterteilt werden. Werden diese Schritte von einem Unternehmen vollzogen, handelt es sich um einen Integrated device manufacturer (IDM).

Ein IDM entwickelt, produziert und vermarktet seine Chips selbst (z.B. Intel, Samsung, Texas Instruments). Oder aber entlang dieser Schritte sitzen mehrere Firmen, welche auf einen oder mehrere Produktionsschritte spezialisiert sind. Designer oder auch Fabless-Unternehmen (z.B. Qualcomm, Broadcom, NVIDIA) designen und verkaufen die Chips, haben selbst aber keine Fertigungskapazitäten. Diese buchen sie bei Foundries (z.B. TSMC, UMC, GlobalFoundries). Der Vorteil dieser Arbeitsteilung liegt neben der Komplexität vor allem an den Kostenstrukturen. Die Produktionsanlagen sind mit ihren Maschinen sehr teuer in Anschaffung und Wartung. Der Auslastungsgrad ist somit für die Unternehmen entscheidend. Fabless-Unternehmen können dieses Risiko outsourcen, während die Foundries ihre Aufträge aus einem weltweiten Pool von Entwicklern beziehen und von der Diversifikation profitieren. Im dritten Schritt können von den Foundries die ATP-Leistungen von OSAT-Firmen (z.B. Outsourced Semiconductor Assembly and Test, z.B. Ase Technology, Amkor Technology, JCET) gebucht werden.

Doch damit nicht genug: Für die Ausstattung und das Equipment, vor allem der Foundries, kommen weitere Spezialisten ins Spiel. SMEs (semiconductor manufacturing equipment) liefern die passenden Maschinen und Ausrüstungsgegenstände für die Fertigung (ASML, Applied Materials, Lam Research). Außerdem gibt es Firmen, welche auf EDA (electronic design automation) spezialisiert sind, also die passende Software für den Produktionsprozess bereitstellen (z.B. Cadence Design Systems, Dolphin Integration, Forte Design Systems).

Als IP (core intellectual property) wird der „Bauplan“ eines Chips bezeichnet, welcher das geistige Eigentum enthält und in den meisten Fällen lizensiert oder hinzugekauft wird. Dieses Know-how liegt wiederum bei anderen Firmen (ARM, MIPS-Technologies, Imagination Technologies).

Doch weiter im Produktionsprozess: In einer Foundry (oder Fab) werden auf bzw. in den Wafern Chips hergestellt, was grob ausgedrückt in zwei Schritten passiert, jedoch an dieser Stelle zu weit ins Detail gehen würde. Nach dem Prozess ist ein Wafer mit hunderten kleinen Chips bestückt.

Fasst man die Arbeit der Designer und Foundries zusammen, entsteht dort der größte Teil vom „Kuchen“. 68% der Wertschöpfung finden nach Angabe von CEST in diesem Bereich statt. Größter Player in diesem Bereich sind US-Unternehmen, gefolgt von Südkorea. Betrachtet man jedoch das reine Fertigungsgeschäft ist Taiwan mit einem erdrückenden zwei Drittel-Anteil größter Player weltweit. Vor allem TSMC, der größte Auftragsfertiger der Welt, fertigt Chips im Auftrag Dritter und hat laut Bloomberg einen Weltmarktanteil von über 57% im Jahr 2021, gefolgt von Samsung mit knapp 19%.

Die globale Halbeiterschmiede liegt also in Taiwan und Korea, während ein Großteil der Wafer aus Japan kommen. Die Baupläne für die Chips sowie die zur Herstellung verwendete Software kommt jedoch fast ausschließlich aus den USA und Europa. Vor allem in puncto Design-Software kommt keiner an den Amerikanern vorbei. Dieser kleine Anteil an der Gesamtwertschöpfung (1,5%) befindet sich zu 96% unter Kontrolle von US-Firmen. Die geographische Konzentration der „Baupläne“ (IP-Core) teilt sich zwischen USA (52%) und Europa (43%) auf und nimmt einen ebenfalls geringeren Anteil an der Wertschöpfungskette ein (0,9%).

Das Equipment (17,3% Anteil an der Gesamtwertschöpfung) kommt wiederum aus mehreren Weltregionen. Maschinen für die Chipfertigung werden vor allem in den USA, Japan und Europa gebaut, während das ATP-Equipment zu fast der Hälfte aus Japan stammt.

Am Ende der Kette steht der Bereich Testen &Verpacken (ATP), auf den 9,6% des Wertschöpfungsanteils entfallen und welcher neben den USA dort angesiedelt ist, wo die meisten Chips produziert werden. Eine genaue Abgrenzung ist, wie in allen Produktionsschritten, nicht möglich, da manche Foundries (IDMs) den Prozessschritt selbst durchführen und andere ihn auslagern.

Globale Zusammenhänge

Zusammenfassend steht fest, dass kein Land oder Region in der Lage ist, Halbleiter komplett unabhängig zu entwickeln und zu produzieren. Gängigstes Beispiel in Europa ist ASML. Das Unternehmen, welches einst von Philips an die Börse gebracht wurde und mittlerweile das zweitwertvollste Unternehmen Europas ist, besitzt eine Technologie, die sonst keiner hat. Foundries und IDMs auf der ganzen Welt sind auf die Maschinen von ASML angewiesen. ASML ist dabei nur ein Beispiel, viele Unternehmen sind aktuell in der Halbleiterindustrie nicht ersetzbar. Dieser globalen Lieferkette mit ihren hochkomplexen Strukturen und Technologien wird mittlerweile hoher geostrategischer Wert beigemessen. Die US-Regierung hat in diesem Jahr neue Exportbeschränkungen gegen China ausgesprochen, die unter anderem den Export von Maschinen, welche für die Chip-Produktion benötigt werden, einschränken. Dazu kommen Investitionsprogramme, um die Lieferketten unabhängiger zu machen. Joe Bidens Regierung investiert unter dem Namen des „CHIP-Act“ 280 Milliarden US-Dollar in die heimische Produktion.

Auch die EU plant 43 Milliarden Euro zu investieren, um Europas Produktionskapazitäten auf 20% des Weltmarktes bis 2030 zu erhöhen. So hoch das politische Interesse an dem Erfolg der heimischen Halbleiterindustrie, so undurchsichtig sind die Subventionsströme. Die OECD hat in einer 2019 veröffentlichten Studie5 die Subventionierung von 21 der weltweit größten Chip-Unternehmen untersucht. Demnach erhielten diese Unternehmen zwischen 2014 und 2018 mehr als 50 Milliarden an staatlichen Subventionen in Form von staatlichen Zuschüssen, F&E-Förderung, Steuervergünstigungen, oder günstigen Finanzierungsmöglichkeiten. Vor allem in China scheint die Finanzierung von Chip-Konzernen, nach den Erkenntnissen dieser Studie, zu marktunüblichen Konditionen beliebt zu sein. Der von China eingerichtete Investitionsfonds aus dem Jahr 2014 scheint diese Entwicklung zusätzlich begünstigt zu haben.

Fest steht: keine Regierung kann oder will es sich leisten ihre Core-Player zu verlieren, ohne technologisch abgehängt zu werden. Die Branche hat in der Vergangenheit mit traumhaften Wachstumssteigerungen überzeugen können. Die Begriffe Wachstum und Chips stehen in unmittelbarem Zusammenhang, spätestens seit Corona. Ein zusätzlicher Digitalisierungsschub, die zunehmende ökologische und automatisierte Neuausrichtung ganzer Industriebereiche (hervorzuheben sei an dieser Stelle die Autoindustrie) bescherten den Chip-Herstellern in den letzten zwei Jahren volle Auftragsbücher und traumhafte Margen. Die Lieferengpässe führten zu Engpässen in vielen anderen Industriezweigen, die stellenweise bis heute andauern und die Wichtigkeit dieser Industrie nochmals verdeutlichten. Analysen von McKinsey blicken auch optimistisch in die Zukunft und gehen von einem jährlichen Wachstum zwischen 6%-8% pro Jahr bis 2030 für die komplette Branche aus.

Dabei waren die vergangenen Q3-Berichte bei manchen Chip-Firmen eher durchwachsen, vor allem im Handy- und Computerbereich. Die Smartphone-Nachfrage geht zurück. Im vergangenen Quartal ist der Smartphone-Absatz nach Berechnungen des Analysehauses Canalys um neun Prozent gesunken. Qualcomm, einer der größten Chip-Player auf dem Handymarkt rechnet für das Kalenderjahr 2022 mit einem Rückgang der Smartphone-Verkäufe im niedrigen zweistelligen Prozentbereich. Ähnlich sieht es in der PC-Branche aus. Der Absatz sei in Q3/2022 so stark eingebrochen wie seit annähernd 30 Jahren nicht. Die Beratungsfirma Gartner spricht von einem Rückgang um 20 Prozent im Vergleich zum Vorjahreszeitraum. Nachlassende Lieferengpässe trafen hier auf hohe Lagerbestände und eine nachlassende Nachfrage. Kein guter Mix. Da viele Verbraucher in den letzten zwei Jahren Neuanschaffungen getätigt haben, besteht aktuell wenig Bedarf. Begonnen hat die Entwicklung schon früher. Im zweiten Quartal waren die Auslieferungen weltweit 15,3 Prozent niedriger als im Vorjahresquartal6. TSMC kündigte auf der letzten Bilanzpressekonferenz an, die Investitionen zurückfahren zu wollen. Dies zwar nur in einem überschaubaren Ausmaß, jedoch waren solche Töne in dieser Branche in den letzten Jahren eher ungewöhnlich.

Gänzlich anders ist die aktuelle Situation in der Autoindustrie. Die Autobauer leiden noch immer unter Chip-Mangel und dieser könnte nach Angaben der Beratungsfirma AlixPartners noch bis 2024 weiter anhalten.

Grund ist das weltweite Hochlaufen der Elektroautoproduktion. In einem Elektroauto werden ca. zehn Mal so viele Chips verbaut wie in einem herkömmlichen Verbrenner. Über den Mangel, der die Autobauer ausbremst, können sich die Auto-Chip-Hersteller nur freuen. Infineon, das knapp die Hälfte seiner Umsätze mit dem Verkauf von Auto-Chips realisiert, sitzt auf hohen Auftragsbüchern (43 Mrd. Euro, was fast dem dreifachen Jahresumsatz entspricht) und plant die Investitionen zu erhöhen. Im Halbleitermarkt hat also eine Fragmentierung begonnen, wobei deren Dauer unklar ist. Industrien, welche nach Corona schneller in der Lage waren, die aufgestaute Nachfrage abzuarbeiten, spüren erste Entspannungen und einen Rückgang der Nachfrage. In Segmenten, in denen weiterhin Lieferengpässe bestehen, boomt das Geschäft für die Chip-Unternehmen weiter. Das von McKinsey prognostizierte jährliche Branchenwachstum wird mit 13% p.a. vor allem vom Segment Automotive electronics deutlich übertroffen.

Politische Unterstützung entscheidend

Die Bedeutung politischer Subventionen und geostrategischer Ausrichtungen dürfte in Zukunft noch mehr an Bedeutung gewinnen. Chip-Produzenten rechnen, trotz hoher Gewinne, fest mit fiskalischer Unterstützung und nehmen hierbei auch kein Blatt vor den Mund. Infineon hat klar gemacht, dass eine Voraussetzung für ein neues 5-Milliarden Euro Werk in Dresden eine finanzielle Förderung durch den European Chips Act ist. Will Europa also nicht endgültig den Anschluss im Halbleitergeschäft verlieren, werden die Entscheidungsträger den Geldbeutel öffnen müssen. Am Tempo und der Höhe des Förderprogramms gibt jedoch seitens der Industrie erhebliche Zweifel. „Europa ist Ankündigungsweltmeister und Umsetzungszwerg", so Andreas Gerstenmayer, Chef des österreichischen Technologiekonzerns AT&S. Die EU debattiere schon seit Monaten über Förderungsdetails und die Summe von 43 Mrd. Euro sei zu gering, um international konkurrenzfähig zu sein. 7 Es bleibt also spannend bei der Frage, ob es die Europäer schaffen ihr ambitioniertes Ziel, die Produktionskapazität bis 2030 auf 20% des Weltmarktanteiles zu erhöhen, erreichen können.


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Fußnoten

1 Formuliert 1965 von Gordon Moore, Mitbegründer von Intel
2 Die gesamte Wertschöpfungskette und die meisten Produktionsverfahren sind hochkomplex und dementsprechend kompliziert zu erklären. Um die allgemeine Verständlichkeit zu wahren, wird deswegen in diesem Text nicht auf jedes Produktionsdetail eingegangen.
3 Angaben zu Marktanteilen in der Wertschöpfungskette auf Grundlage des CSET „The Semiconductor Supply Chain“, 2021, University of Georgetown. Ausschlaggebend ist der Firmensitz
4 Halbleiter umfassen mehrere Kategorien. Die wichtigste Kategorie ist die der Computerchips. Dazu gehören Logikchips, Speicherchips und analoge Chips. Andere umfassen Optoelektronik, Sensoren und Diskrete.
5 siehe Link
6 siehe Link
7 Handelsblatt, 23.11.2022